Stadtverordnetenversammlung am 14. Juli 2020
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
sehr geehrte Damen und Herren,
heute liegen Ihnen die Haushaltsplan-Entwürfe für die Haushaltsjahre 2020 und 2021 zur Beratung und Entscheidung vor. Analog zu Bremen wollen wir allerdings heute zunächst den Haushaltsplan-Entwurf für das Jahr 2020 beraten und beschließen.
Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Steuerschätzung aus Mai 2020 sowie den Corona-bedingten Auswirkungen gehen die Steuerexperten davon aus, dass es im Rahmen einer Sondersitzung der Steuerexperten bereits im September 2020 zu neuen Erkenntnissen der Steuerauswirkungen für die Jahre 2021 ff. kommen kann. Diese Ergebnisse sollen dann in den Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2021 einfließen.
Verabredet und in Aussicht gestellt ist, dass wir in der letzten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 26. November d. J. den Haushaltsplan-Entwurf 2021 beraten und beschließen wollen.
Warum ist die Haushaltsaufstellung für 2020 und 2021 anders als sonst?
Zunächst einmal hat sich die Haushaltslage der Stadtgemeinde Bremerhaven grundlegend verändert. Die Stadt Bremerhaven ist durch die Entschuldung durch das Land Bremen de facto schuldenfrei. Eingesparte Tilgungs- und Zinsleistungen in einer Größenordnung von ca. 49 Mio. € sollen diesen und zukünftigen Haushalten finanzielle Handlungsräume für dringende Investitionen sichern.
Durch den Neuabschluss des innerbremischen Finanzausgleichs wurden weitere Einnahmen durch das Land Bremen vereinbart, u. a.
- 6 Mio. € aus den Steuereinnahmen des stadtbremischen Überseehafens
- 14 Mio. € für das nichtunterrichtende pädagogische Personal an Schulen, welche zu weiteren Entlastungen des angespannten Haushalts führen.
Verbunden mit der Entschuldung durch das Land Bremen sind auch wir als Stadt in der Pflicht, die Schuldenbremse einzuhalten und für die Zukunft Haushaltsrücklagen zu bilden.
Die Corona-Pandemie hat mit dem bundesweiten Lockdown Mitte März zu folgenschweren Auswirkungen geführt:
- Die Einnahme-Erwartungen in den städtischen Gesellschaften – manifestiert in den bereits in 2019 beschlossenen Wirtschaftsplänen für 2020 – beinhalten zum jetzigen Zeitpunkt nicht einschätzbare Risiken.
- Im Worst-Case Szenario müssen wir von einem finanziellen Risiko von derzeit bis zu 17 Mio. € ausgehen.
- Die zusätzlichen Mehrausgaben bei Sicherheit und Pflege bewegen sich mittlerweile auch in einem unteren siebenstelligen Bereich.
- Notwendige, konjunkturelle Programme sind erforderlich, um die zwischenzeitlich vollkommen zum Erliegen gekommenen Bereiche der Kultur, des Sports, der Bildung und auch des Tourismus, der Gastronomie und der Hotellerie wieder mit Leben zu erfüllen.
- Auswirkungen der COVID – 19 Pandemie für den Haushalt
In seiner Sondersitzung am 01. Juli 2020 hat der Finanz- und Wirtschaftsausschuss von der beabsichtigten Erklärung eines Ausnahmetatbestandes nach Artikel 131a Absatz 3 der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen zur Aufnahme eines entsprechenden Kredits für die Auflage eines „Bremerhaven-Fonds“ Kenntnis genommen; der Magistrat hat in seiner Sitzung am 08. Juli 2020 beschlossen, dass die haushaltsbedingten Auswirkungen der Corona-Pandemie eine Ausnahmesituation innerhalb der Schuldenbremse darstellen, die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt.
Zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen werden ergänzend im Haushaltsplan-Entwurf 2020 der Stadtgemeinde Globalmittel in Höhe von 70 Mio. € eingestellt, die eine neue Kreditaufnahme erfordern.
Eine konkrete Höhe ist derzeit inhaltlich nicht ableitbar und wird daher analog der Stadtgemeinde Bremen auf rund 10% des ursprünglichen Haushaltsvolumens veranschlagt.
Auf Grund der mit dem Fonds eröffneten Möglichkeiten der Kreditaufnahme ist es nicht erforderlich, den Rahmen der Kassenverstärkungskredite auf Grund der Pandemie auszuweiten.
Es ist jedoch weiterhin zu empfehlen, den in der Haushaltssatzung verankerten möglichen maximalen Betrag der Kassenverstärkungskredite für den temporären Liquiditätsausgleich von Eigengesellschaften wegen Pandemie bedingter Liquiditätsengpässe auf maximal 30 Mio. € festzulegen.
Mit dem Bremerhaven-Fonds werden die für die Bewältigung der Corona-Folgen erforderlichen Maßnahmen in den folgenden Bereichen finanziert:
- Kurzfristige aktuelle Maßnahmen zur unmittelbaren Krisenbekämpfung
- Kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Verhinderung struktureller Einbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft
- Kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Verhinderung sozialer Verwerfungen
- Mittel- und langfristige Maßnahmen zur Unterstützung des gesellschaftlichen Neustarts nach der Krise
Während die kurz- und mittelfristigen Maßnahmen der Schwerpunktbereiche 1 bis 3 der unmittelbaren Notsituation geschuldet ebenso zeitnah eingeleitet und beschlossen werden, bedarf es für die strukturwirksamen Maßnahmen insbesondere des Schwerpunktbereichs 4 eines intensiveren Vorlaufs der Bewertung und der Auswahl besonders geeigneter und wirkungsvoller Maßnahmen.
Die hier erforderlichen Aktivitäten sollen der nachhaltigen und zukunftsfähigen Stabilisierung und Gestaltung von Gesellschaft, Wirtschaft und Infrastrukturen dienen, weitere Pandemiewellen handhabbarer machen und einen Neustart nach der Pandemie ermöglichen.
Dabei sind die Besonderheiten der Bremerhavener Sozial- und Wirtschaftsstruktur zielgerichtet und präzise auch unter Berücksichtigung unterschiedlicher Betroffenheit der Geschlechter zu adressieren. Die hierauf abzielenden strukturwirksamen Maßnahmen des „Bremerhaven Fonds“ dienen somit der regional angepassten Ergänzung und nötigen Profilierung der generellen Unterstützung durch Land, Bund und EU, deren Möglichkeiten zunächst und vorrangig auszuschöpfen sind.
Mit den Mitteln des „Bremerhaven-Fonds“ sollen auch die ggf. erforderlichen Komplementärfinanzierungen an Konjunkturprogrammen des Landes, des Bundes bzw. der EU abgesichert werden.
Seitens des Landes wird eine externe gutachterliche Unterstützung bei der Programmierung geeigneter mittel- bis langfristiger Maßnahmen erfolgen, wobei stets zu beachten ist, dass alle aus dem „Bremerhaven-Fonds“ finanzierten Maßnahmen der Überwindung der Corona-Krise dienen müssen.
Analog zur Vorgehensweise bei den Kosten der Flüchtlingsmigration 2016/17 werden zudem seitens des Landes durch ein externes rechtswissenschaftliches Gutachten die Vorgaben zur Vereinbarkeit von insbesondere mittel- bis langfristigen Maßnahmen mit den Ausnahmetatbeständen im Rahmen der Schuldenbremse und des Sanierungshilfengesetz überprüft und die entsprechenden Dokumentations- und Darlegungspflichten dargestellt werden.
Über die Zusammenführung aller Corona-bedingten Haushaltseffekte über gesonderte Haushaltsstellen soll den Anforderungen an eine transparente und haushaltstechnisch eindeutige Nachweisung der Auswirkungen dieser außergewöhnlichen Notsituation nachgekommen werden. Über die Mittelverwendung des Sonderfonds beschließen der Magistrat, die zuständigen Fachausschüsse der Stadtverordnetenversammlung sowie der Finanz- und Wirtschaftsausschuss. Die Ämter sind dafür verantwortlich, dem Magistrat nur die Maßnahmen vorzulegen, die unter Prüfung der o. g. Kriterien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie stehen.
Die Haushalte ab 2024 werden für 30 Jahre mit 2,33 Mio. € p. a. zusätzlich belastet werden und reduzieren damit den finanziellen Gestaltungsspielraum in zukünftigen Haushaltsjahren.
- Auswirkungen der Steuerschätzung vom Mai 2020
Die vom Senator für Finanzen in Bremen veröffentlichten Ergebnisse der Steuerschätzung vom Mai 2020 wurden nachträglich zu Gunsten Bremerhavens bei den Schlüsselzuweisungen und beim erhöhten Landesanteil an der Gewerbesteuerumlage korrigiert.
Die Einnahmeausfälle betragen für
2020 – 38,7 Mio. € und für
2021 – 18,4 Mio. €.
Für 2020 dürfen die Mindereinnahmen gemäß der Landesverfassung und der Landeshaushaltsordnung durch eine Kreditaufnahme ohne Tilgungsregelung finanziert werden. Anders wird es sich wahrscheinlich für das Haushaltsjahr 2021 verhalten.
Die Steuerschätzung, insbesondere für die Jahre ab 2021, ist vor dem Hintergrund der Pandemie mit erheblichen Unsicherheiten versehen.
In anderen Ländern und auch beim Bund werden die Terminpläne für die Einbringung und die Beratung der Haushalte verschoben, um die Haushaltsentwürfe auf eine verlässlichere Basis zu stellen.
Im nunmehr vorliegenden Haushalts- und Finanzplan-Entwurf wurden analog zum Landes- und Stadthaushalt in Bremen die geänderten Ergebnisse der Steuerschätzung vom Mai 2020 nur im Haushaltsjahr 2020 eingearbeitet; für die Jahre 2021 bis 2023 zunächst weiterhin die modifizierten Ergebnisse der Steuerschätzung vom Oktober 2019 zu Grunde gelegt bis die Ergebnisse der Steuerschätzung im September 2020 vorliegen.
- Finanzrahmen, Sicherheitsabstand, Schuldenbremse, Ableitung zulässige Kreditaufnahme
Dem Finanzrahmen ist zu entnehmen, dass der Sicherheitsabstand im Hinblick auf die Einhaltung der Schuldenbremse in 2020 und 2021 nur wegen der eingestellten globalen Minderausgaben eingehalten wird.
Die Ausweisung des negativen Sicherheitsabstandes dokumentiert den bevorstehenden Handlungsbedarf in den nächsten Jahren, wenn die Haushalte für 2022 und 2023 aufzustellen sind.
Die Haushalte 2020 und 2021 können gegenwärtig nur durch die Veranschlagung von globalen Minderausgaben von jeweils rund – 9,8 Mio. € in 2020 und 2021 ausgeglichen werden.
Zur Einhaltung des Sicherheitsabstandes bei der Schuldenbremse gibt es in den Folgejahren weitere Handlungsbedarfe.
Wie dem Finanzplan zu entnehmen ist, liegt die Summe der veranschlagten globalen Mehreinnahmen und der globalen Minderausgaben mit 4,5 Mio. € (2020) und 4,7 Mio. € (2021) unterhalb der maximal zulässigen Obergrenze von 2% des Haushaltsvolumens.
Nach Mitteilung der Finanzaufsicht ist bei der Frage, ob ein Haushaltsausgleich erreicht werden kann, zu beurteilen, ob im Haushaltsvollzug eine realistische Chance besteht, die in Höhe von 1 bis maximal 2 % des Haushaltsvolumens betragende Veranschlagung aus globalen Mehreinnahmen und globalen Minderausgaben aufzulösen. Die Festlegung der genauen Grenze im Rahmen der pauschal bis zu 2 % möglichen Summe aus globalen Mehreinnahmen und globalen Minderausgaben obliegt wegen der zuvor genannten Prämisse, immer einer Einzelfallprüfung der Finanzaufsicht.
Die Minderausgaben müssen jedoch im Haushaltsvollzug zwingend erwirtschaftet werden. Ansonsten werden die Haushalte 2020 und 2021 planerisch mit Fehlbeträgen abschließen. Diese würden dann die ohnehin schon problembehafteten Haushalte 2022 und 2023 ggf. zusätzlich belasten.
- Im Ergebnis bleibt festzustellen:
Trotz der positiven Effekte der Entschuldung und der Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs hat sich somit ein neuer Handlungsbedarf zur Einhaltung der Schuldenbremse und zur Sicherstellung des Haushaltsausgleich ergeben.
Der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung haben sich bereit erklärt, die vorübergehend zum formalen Haushaltsausgleich eingestellten Minderausgaben durch geeignete Maßnahmen möglichst vollständig und nachhaltig aufzulösen.
Weiterhin hat der Magistrat alle Dezernate und Fachämter gebeten, für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich die Anhebung von Gebühren, Beiträgen und Nutzungsentgelten zu prüfen, um hier zu weiteren Einnahmeverbesserungen zu gelangen. Als Richtschnur sollten die Gebühren- und Beitragssätze in der bremischen Verwaltung dienen.
In Anbetracht der extrem schwierigen Haushaltslage wurden alle Dezernate und Fachämter gebeten, von der Anmeldung von Veränderungsbedarfen grundsätzlich abzusehen und zu versuchen, durch eine grundlegende Überarbeitung des bisherigen Budgets unter aufgaben- und ausgabenkritischer Herangehensweise finanzielle Freiräume zur Finanzierung unumgänglich erachteter Mehrbedarfe zu schaffen.
Innerhalb der Ausschussbereiche sollten erforderlichenfalls Mittelumschichtungen vorgenommen werden. Sollte es danach noch immer als unumgänglich angesehen werden; Veränderungsbedarfe anzumelden, dann nur, wenn sie zwingend unabweisbar und unaufschiebbar im engsten Sinne waren.
Die Fachämter haben auf der Grundlage des Eckwerte-Beschlusses des Magistrats ihre Haushaltsplan-Teilentwürfe erstellt und den Fachausschüssen, zum Teil mit Veränderungsbedarfen zur Kenntnis gegeben. Die Ergebnisse sind in den Haushaltsplan-Entwurf eingeflossen.
Es ist Aufgabe der Stadtverordnetenversammlung im Rahmen ihres Budgetrechts und ihrer Budgetpflicht sich in substanzieller Weise mit den Einnahmen und Ausgaben im vorliegenden Haushaltsplan-Entwurf zu befassen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine konstruktive Beratung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Pressemitteilung der Seestadt Bremerhaven