Mehr als nur ein Navigationsinstrument: Deutsches Schifffahrtsmuseum forscht zum Gebrauch von Karten auf See

Das vergilbte Papier biegt sich leicht unter den weißen
Handschuhen. Frederic Theis fährt die gedruckten Linien der Seekarte mit
seinen Fingern ab, um sie nachzuvollziehen. Neben ihm stapeln sich
weitere Exemplare, die nur darauf zu warten scheinen, untersucht zu
werden. Wie sich Seekarten im Laufe der Zeit verändert haben und welche
materiellen, technischen und sozialen Entwicklungen dahinterstanden,
steht im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts am Deutschen
Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte.

Seekarten
waren (und sind) essentielle Hilfsmittel für sichere und effiziente
Seereisen zu fremden, unbekannten Häfen. Dennoch sind diese maritimen
Wissensdinge noch immer wenig erforscht. Das Forschungsprojekt „Karten –
Meere. Für eine Geschichte der Globalisierung vom Wasser aus“,
gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF),
stellt See- und Meereskarten der Zeit von 1850 bis 1950 in den Fokus. Es
untersucht die Rolle dieser Karten während der sogenannten „ersten
Globalisierung“, in einer Zeit enormer technischer Umbrüche und sozialer
Veränderungen.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Sunhild
Kleingärtner (Geschäftsführende Direktorin DSM), Prof. Dr. Ruth
Schilling (Ausstellungs- und Forschungskoordinatorin DSM), Prof. Dr.
Iris Schräder (Forschungszentrum Gotha) und Prof. Dr. Wolfgang Struck
(Universität Erfurt) richten Wissenschaftler*innen des Deutschen
Schifffahrtsmuseums Bremerhaven, des Forschungszentrums Gotha sowie der
Universität Erfurt in vier Teilprojekten verschiedenste Fragen an das
Kartenmaterial. Während am Schifffahrtsmuseum der Gebrauch von Karten
auf See und ihre Nutzung im Navigationsunterricht im Fokus stehen, wird
in Gotha stärker auf die Rolle von Meereskarten in der historischen
wissenschaftlichen Ozeanographie und auf ihre seinerzeitige Rezeption in
populären Medien abgezielt. Dabei ist das sorgfältige Studium der
Objekte in den Archiven besonders aufschlussreich, wie Frederic Theis,
einer von insgesamt vier Nachwuchswissenschaftlern des Verbundprojektes,
betont: „Das ist sehr wichtig, um zu verstehen, was wir vor uns haben.
Wir verschaffen uns so einen Überblick und lernen beispielsweise, welche
Kartentypen für welche Zwecke verwendet wurden.“
Mit über 14.000
historischen See- und Meereskarten bildet die Sammlung Perthes der
Forschungsbibliothek Gotha einen wesentlichen Quellenbestand für die
Forschung von Theis und seinen Kolleg*innen; ebenfalls im Fokus sind die
umfangreichen Bestände des Deutschen Schifffahrtsmuseums, die neben
See- und Meereskarten auch zahlreiche historische Navigationsinstrumente
umfassen. Selbst die Aufzeichnungen von Kapitänen, Einträge in Log- und
Schiffstagebüchern, gezeichnete Karten- und Landschaftsskizzen, werden
analysiert: „Wir suchen nach Annotationen in den gedruckten Karten, nach
handschriftlichen Einträgen, die uns verraten, wie eine Karte an Bord
benutzt wurde“, meint Theis. Sie helfen, die Methoden der Navigation auf
den Ozeanen sowie der Herstellung und Richtighaltung historischer
Seekarten wirklich zu verstehen.
Die Informationen in gedruckten
Seekarten sind ebenso vielfältig wie veränderlich: Neben den
Wassertiefen und Strömungen werden auch Seezeichen und Landmarken sowie
die Positionen von Wracks abgebildet. Frederic Theis erforscht, wann und
warum bestimmte Informationscluster erstmals in Seekarten erschienen
und welcher unmittelbare Nutzen damit für die seinerzeitige Schifffahrt
verbunden war. Da sich zudem die Verhältnisse auf See und besonders in
Küstengebieten infolge von Gezeiten, Sturmfluten und anderen Phänomenen
häufig ändern, unterlagen Seekartenwerke ständigen Anpassungen und
Korrekturen durch Kapitäne und kartographische Beamte. Diesesichtbar zu
machen ist ein Kernanliegen des Projektes.
Spannend sind die
Materialität und Haptik der Objekte, die Theis und sein Kollege Florian
Tüchert, Doktorand im Kartenprojekt, ebenfalls erforschen. „Bei
historischen Kupferstichkarten spürt man den Farbauftrag“, so Theis,
während er die Ränder des Kartenbildes nachfährt. Auch falle auf, wie
stark sich die Papiersorten historischer Seekarten unterscheiden, denn
während etwa chilenische Karten oft auf sehr dünnem, feinem Papier
gedruckt wurden, verwendeten Briten und Amerikaner eher feste
Papiersorten. In einem Punkt gleichen sich die Karten jedoch alle: je
mehr Informationen über die Meere gesammelt wurden, umso umfangreicher
wurde die Darstellung auf dem hellen, leicht gelblichen Papier.
Im
Juli 2019 nutzten Theis und seine Kolleg*innen die International
Conference on the History of Cartography (ICHC) in Europas
‚Kartenhauptstadt‘ Amsterdam, um die Quellen und Forschungsansätze des
Projektes auch international bekannt zu machen. Nun steht bereits der
nächste Schritt an: Ab Juli 2020 werden besondere See- und Meereskarten
und ihre Geschichte(n) in einer Ausstellung im Bremer ‚Haus der
Wissenschaft‘ sowie am Deutschen Schifffahrtsmuseum gezeigt werden.
Danach finden die Forschungsergebnisse auch Eingang in die neue
Ausstellung, die nach dem Umbau dauerhaft im DSM gezeigt werden wird.
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