Der Pressesprecher des Bremerhavener Magistrats Volker Heigenmooser hat sich zu der Fernsehsendung über Bremerhaven Lehe des ZDF gestern Abend geäußert.
Hier seine Mitteilung:
Um
Vorurteile bestätigen zu können, stören Fakten. Diese Erkenntnis gilt
leider auch für die Redaktion 37° des öffentlich-rechtlichen Senders
ZDF. In seiner Sendung „Wo Armut Alltag ist“ (12. Juni 2017) werden
munter falsche Zahlen in den Raum geworfen und auf der sendereigenen
Homepage verbreitet. Dabei hätte es die Redaktion besser wissen können.
Aber sie verschweigt die ihr bekannten Fakten.
Anruf der verantwortlichen Redakteurin Martina Nothhorn gestern, 12.
Juni 2017, drehte sich um die Frage, ob es denn Zahlen zur
Arbeitslosigkeit in Bremerhaven-Lehe gebe. Sie habe die Zahl von 38
Prozent. Diese Zahl ließ sich schnell als falsch korrigieren. Ich
erläuterte der Redakteurin, dass im Dezember 2016 die Arbeitslosenquoten
in Bremerhaven 13,03 % betrug. Im Stadtteil Lehe 16,05 %. Das wollte
sie offensichtlich nicht glauben. Ich erläuterte ihr, dass der Stadtteil
Lehe aus verschiedenen Ortsteilen besteht, die unterschiedliche
Arbeitslosenquoten aufweisen, die von 2,63 % im Ortsteil Speckenbüttel
bis zu 29,55 % im Ortsteil Goethequartier reichen. Diese Zahlen beruhen
auf Daten der Bundesagentur für Arbeit. Die Zahl von 38 Prozent lässt
sich auf jeden Fall nicht bestätigen. Diese falsche Zahl wurde jedoch
weder im Beitrag noch in dem begleitenden Text auf der Sendungshomepage
geändert, obwohl sie der Redakteurin bekannt waren und erläutert wurden.
Auch die andere Zahl, die in der Reportage und auf der Homepage
genannt wird, stimmt nicht. Dort ist die Rede davon, dass
Bremerhaven-Lehe Deutschlands „ärmster Stadtteil“ sei („Laut
Schuldneratlas ist Bremerhaven-Lehe Deutschlands ärmster Stadtteil. Von
37.500 Einwohnern können 37 Prozent ihre Schulden nicht bezahlen, 38
Prozent sind arbeitslos“). Der Creditreform Schuldneratlas Bremerhaven
weist diese Zahl tatsächlich für das Postleitzahlengebiet 27576 aus, das
jedoch Teile Lehes und Teile des Stadtteils Mitte umfasst. Die anderen
Postleitzahlenbereiche Lehes weisen laut Schuldneratlas Quoten von 14,05
% (Lehe, Leherheide) und 15,64 % (Lehe, Speckenbüttel, Überseehafen,
Weddewarden) aus. Die Quote für Lehe insgesamt als Stadtteil betrachtet
kann demnach nicht die kolportierten 37 Prozent sein.
Auf diese Weise wird ein ganzer Stadtteil mit aktuell über
39.000 Einwohnerinnen und Einwohnern pauschal diskreditiert. Das ist
unfair.
Zugegeben, Bremerhaven hat es nicht leicht (gehabt). Zugegeben,
in einigen Ortsteilen Bremerhavens ballen sich soziale Probleme. Diese
haben sich in fast zwanzig Jahren dort so entwickelt. Doch seit fast
zwanzig Jahren wird von den verantwortlichen Akteurinnen und Akteuren
der Stadt gegengesteuert. Und die Erfolge lassen sich mit Händen
greifen.
Bremerhaven ist eine Stadt im Aufschwung. Bremerhaven ist eine
wachsende Stadt, in der in den vergangenen Jahren rund 10.000 neue
Arbeitsplätze entstanden sind. Bremerhaven ist mittlerweile eine Stadt
der Wissenschaft. Diese ist ein wichtiger Motor der
Wirtschaftsentwicklung Bremerhavens. Mit zahlreichen
Forschungseinrichtungen bildet die Wissenschaft hier eine hohe Dichte
mit Zugkraft insbesondere zu Themen wie Meeresökologie, Klimawandel,
Hafenwirtschaft, Lebensmittel- und Fischwirtschaft, Optimierungen in der
Windenergie sowie Seeverkehrsentwicklung und Logistik. Weitere Felder
kommen hinzu – etwa die Fischereiforschung. Bremerhaven ist eine Stadt
erfolgreicher Häfen und Bremerhaven ist zunehmend eine für Touristen
immer interessantere Stadt.
Medienberichte, die auf Vorurteilen beruhen und Fakten
verschweigen, bestätigen ein überkommenes und vorgefasstes Bild einer
Stadt, die in Armut zu versinken scheint. Das Bild ist falsch. Bei allen
Problemen, die nicht geleugnet werden sollen, ist Bremerhaven eine
Stadt im Aufbruch, an dem viele mitwirken und eingeladen sind, sich
dafür einzubringen.
Volker Heigenmooser, Pressesprecher
Hier dazu noch ein Auszug aus dem Text des Regisseurs Gregor Eppinger zu der Reportage.
Gregor Eppinger über seinen Film
Lehe kam, war ich irritiert. Es ist kein Ghetto, keine Hochhaussiedlung,
kein Klischee-Brennpunkt. Es ist erst mal ein schöner Stadtteil, der
den melancholischen Charme ausstrahlt, schon bessere Tage gesehen zu
haben. Man hört die Möwen und spürt die Nähe des Meeres. Andererseits
ist es auch bedrückend dort, denn man sieht viel Armut. Viele Wohnhäuser
stehen leer und verkommen. Manche Straßen wirken verlassen. Geschäfte
stehen leer. Es regnet ständig. Wir waren lange und häufig in Lehe;
irgendwann gewöhnt man sich an die Stimmung und stellt fest, dass der
Stadtteil eigentlich etwas Dörfliches hat. Jeder Person läuft man
mehrmals über den Weg, und es stellt sich schnell das vertraute Gefühl
ein, hier viele zu kennen. Wenn ich nach längerer Unterbrechung wieder
nach Lehe kam, wurde ich gefragt, wo ich solange gewesen war und Leute
winkten einem auf der Straße zu. Ich denke, das ist der Grund, warum
viele Menschen mir immer wieder erzählten, weshalb sie trotz vieler
Probleme sich nicht vorstellen könnten, woanders als in Bremerhaven-Lehe
zu leben.